Harun Farocki Retrospektive

Savvy Contemporary

El Usman Faroqhi Here and a Yonder – On Finding Poise in Disorientation

Mit Candice Breitz, Ariani Darmawan, Fehras Publishing Practices, Shilpa Gupta, Ho Tzu Nyen, Samson Kambalu, Olaf Nicolai und Michael Zheng

 

Kuratiert von Antonia Alampi und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

 

14. September – 21. Oktober 2017

Eröffnung: 13. September 2017, 18 Uhr, mit einer Performance von Michael Zheng in Kollaboration mit Johanna Thompson

Öffnungszeiten: Donnerstag–Sonntag, 14–19 Uhr

Eintritt frei

> Savvy Contemporary, Plantagenstraße 31, 13347 Berlin

 

 

„Jegliche wirkliche Veränderung fordert den Zerfall der Welt, wie man sie immer schon kannte, der Verlust von Allem, das einem Identität verlieh, das Ende von Sicherheit. Und in einem solchen Moment, unfähig zu sehen und nicht mutig genug, sich vorzustellen, was die Zukunft bringen mag, klammert man sich an das, was man schon wusste, was man besaß oder träumte zu besitzen. Und doch, nur wenn man in der Lage ist, ohne Bitterkeit oder Selbstmitleid, den langgehegten Traum oder das lange besessene Privileg aufzugeben, dass man frei sei, dass man sich selbst befreit hätte, für höhere Träume, für größer Privilegien.“

– James Baldwin, Nobody Knows My Name, 1961

 

Man sagt, viel steckt in einem Namen;

dass vieles in der Namensgebung steckt.

 

Selbst wenn wir historische und religiöse Etymologien und Beiklänge beiseite lassen, tragen Namen ihren Wert in Gold, denn sie öffnen und verschließen Türen innerhalb der jeweiligen Gesellschaften. In den letzten Jahren gab es viel Aufregung über die Ausgrenzung und Selektivität z.B. bei Vorstellungsgesprächen, basierend auf den Namen der Bewerber*innen und nicht auf deren Kompetenzen. 2015 veröffentlichte die NY Times einen Artikel mit dem Titel Appreciate the History of Names to Root out Stigma. Morgan Jerkins führt darin aus, welche diskriminierenden Tendenzen die Jobvergabe in den USA benutzt, wo Lebensläufe mit einem Namen der afroamerikanisch klingt 50 Prozent weniger Chancen hatten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als identische Lebensläufe mit „weiß-klingenden Namen“. Im Wesentlichen ist dies ein Narrativ über rassistische Diskriminierungen, die durch Namensgebung bestimmt sind, in der „anders klingende“ Namen bei dem Gegenüber Vorurteile auslösen.

 

Interessant ist, dass Namen nicht nur ethnische Zugehörigkeiten preisgeben, sondern auch Klasse und Gender erkennen lassen. Dieses Phänomen ist alles andere als neu, da Menschen immer als „die Anderen“ abgestempelt wurden, sobald sie Namen wie Mohammed, Shaniq, oder Shimon trugen.

 

Man sagt, viel steckt in einem Namen.

Dass Vieles in der Namensgebung steckt.

 

Harun Farocki (1944 -–2014) ist ohne Zweifel bis heute einer der wichtigsten Filmemacher und Künstler Deutschlands. Ist, denn obwohl er verstorben ist und sein Körper nicht mehr unter uns weilt, sind sein Geist und seine Werke sehr wohl noch lebendig und beschäftigen uns in unserem Denken und Tun. Gedankt sei dem Himmel, dass man ‘Sein/being’ nicht auf die Anwesenheit oder Abwesenheit von Körpern reduzieren kann.

 

An einem Punkt in seinem außergewöhnlichen Sein und in seiner Karriere als Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Intellektueller, unternahm Harun Farocki, der in in Neutitschein (in der damaligen, deutsch-annektierten Tschechoslowakei) geboren wurde und in Indien, Indonesien und Deutschland aufwuchs, eine leichte chirurgische Operation, in der Bemühung seinen Namen zu vereinfachen. Geboren als Harun El Usman Faroqhi, verabschiedete er sich von seinen Mittelnamen und passte seinen Nachnamen an, welches vielleicht als „Eindeutschen“ gesehen werden könnte, in ein ‘c’’ anstatt des ‘qh’, welches typisch ist für die deutsche Sprache.

 

Die Gründe dieser Veränderung mögen vielfältig gewesen sein, vielleicht machte es die Aussprache einfacher oder es war ein Bemühen um Anpassung, Integration und Konformität. Vielleicht änderte er seinen Namen, um zu verhindern als „der Andere“ klassifiziert zu werden in einer Gesellschaft, in der ‘Otherin’’ kultiviert wird. Vielleicht änderte er den Namen, um zu verhindern, exotifiziert zu werden oder, dass seine Person und Arbeit nur durch ein bestimmtes Prisma gelesen werden. Eventuell war die Absicht, bestimmte politische und soziale Annehmlichkeiten zu genießen, während andere Einschränkungen dadurch umgangen werden konnten. Vielleicht tat er es aus ästhetischen Gründen. Welche genauen Gründe es waren, ist in diesem Moment irrelevant… wichtig ist, behutsam über Namen, Namensgebung und Namensänderung als philosophische sowie soziopolitische Werkzeuge und Handlungen nachzudenken.

 

Das Projekt El Usman Faroqhi Here and a Yonder: On Finding Poise in Disorientation ist eine Recherche-Ausstellung von Savvy Contemporary im Rahmen der Harun Farocki Retrospektive 2017. Das Projekt betrachtet ein Detail in Farockis Leben und Praxis, welches vielleicht als ein kleiner Aspekt betrachtet werden kann, jedoch eine ausschlaggebende philosophische, soziale und politische Rolle spielt. Eine wichtige Betrachtung, die, inspiriert von Haruns eigener Arbeit, zu unerwarteten, neuen und relevanten Narrativen führt.

 

Dieses Projekt nimmt Farocki als einen Ausgangspunkt, um weiterführend über Nomenklatur zu reflektieren, die über geografische und temporäre Rahmen hinausgehen. Dafür sinnen Künstler*innen, Filmemacher*innen und Intellektuelle von nah und fern über Namensgebung als Philosophie, als Gedankenstütze, als Desorientierung nach, über Namensänderung und dessen politische und soziale Konsequenzen. Sie adressieren die Performativität von Sprache, Namensgebung und ihrer Rolle in Kriegsführung und in der Pornografie. Sie überdenken, befragen oder fordern Farockis Positionen heraus und bieten neue Wege sein Œuvre zu sehen und zu erleben.

 

 

 

Savvy Contemporary | The laboratory of form-ideas ist Kunstraum, Plattform für Diskurse, Treffpunkt für gute Gespräche, Gerichte und Getränke -– ein Ort gemeinschaftlicher Gastlichkeit. Savvy Contemporary verortet sich an der Schwelle von Konzepten vom Westen und Nicht-Westen, um diese zu verstehen und zu dekonstruieren. Es hat eine Vielzahl an Projekten durchgeführt – Ausstellungen, Performances, Filmvorführungen, Vorträgen, Konzerten, Lesungen, Diskussionsrunden, Tanz. Savvy Contemporary hat ein partizipatives Archiv für deutsche Kolonialgeschichte aufgebaut sowie ein Dokumentationszentrum für Performancekunst, eine Bibliothek und ein Residenzprogramm. Der Kunstraum kooperiert in Bildungsprojekten mit Schulen und beschäftigt sich mit Geschichte und soziopolitischen Realitäten seiner Nachbarschaft, die mit den Überlegungen und Diskursen des Projekts eng verflochten sind.

 

 

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